KI, Kohlendioxid und das Billionen-Dollar-Versprechen

Es geht um Geld. Viel Geld. Auf zwischen 1,3 und 2,6 Billionen(!) US-Dollar schätzt die Boston Consulting Group (Abb. 1) den potenziellen Gesamteffekt des Einsatzes von KI auf die Nachhaltigkeit. Diesen Effekt erzielen Unternehmen durch zusätzliche Einnahmen und Kosteneinsparungen durch KI bis 2030.

Inhaltsverzeichnis

Was können Sie also als Unternehmen konkret tun, um davon zu profitieren? Und wie können Organisationen KI einsetzen, um ihren CO2-Fußabdruck systematisch zu verringern? Dem gehen wir heute in diesem Beitrag auf den Grund. Wir betrachten sowohl interne Prozesse als auch die Lieferkette als externen Prozess. Denn der CO2-Fußabdruck der globalen Lieferkette ist gigantisch. Bereits 2021 stellt das WEF fest, dass die wichtigsten 8 Lieferketten für mehr als 50% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind. Da wir bereits Künstliche Intelligenz im Supply Chain Management, im Demand Forecasting und in Bezug auf die Dekarbonisierung in unseren vorherigen Artikeln detailliert erläutert haben, gehen wir diesmal auf einen anderen Teilaspekt ein, der häufig vernachlässigt wird.

Grundsätzlich kann uns KI in drei Bereichen helfen: Emissionsüberwachung, Voraussage und Reduzierung von Emissionen. Fangen wir mit der Überwachung der Emissionen an. 

(Abb 1: Vorteile von KI im Klimawandel bis 2023, BCG)

Emissionsüberwachung mit KI

Die Ermittlung von Emissionen ist seit langem eine Herausforderung für Unternehmen, die sich der Nachhaltigkeit verschrieben haben. Denn herkömmliche Methoden liefern oft ungenaue Daten und bieten keine Überwachung in Echtzeit – denn das sind schlicht zu viele Daten. Große Datenmengen hingegen ist das Lieblingsproblem für künstliche Intelligenz. Sie ist imstande, Kohlenstoffemissionen über verschiedene betriebliche Prozesse hinweg zu verfolgen und zu messen.

Die Hardware sind Geräte und Sensoren aus dem IoT-Bereich (dt. Internet der Dinge), um Echtzeitdaten von verschiedenen Punkten im Betrieb eines Unternehmens zu sammeln. Diese Sensoren überwachen den Energieverbrauch, die Produktionsprozesse, den Transport und die Emissionen der Anlagen. Die gesammelten Daten werden in die KI eingespeist, die die Daten fortwährend auf Muster, Anomalien und Trends analysiert. Dadurch können Sensoren in Kombination mit KI in Produktionsanlagen beispielsweise die Emissionen individueller Maschinen messen. Und das ermöglicht Unternehmen, Ineffizienzen zu erkennen und zeitnah zu beseitigen. Die Erfassung und Verarbeitung von großen Datenmengen war früher eine unüberwindbare Kluft – doch heute sind umfassende Emissionsprofile von Unternehmen möglich.

Über die einfache Datenerfassung hinaus kann KI die Emissionen bestimmten Produkten, Abteilungen oder Prozessen direkt zuordnen. Durch diese Detailgenauigkeit können Organisationen die Auswirkungen einzelner Aktivitäten in Bezug auf den Kohlenstoffausstoß verstehen und daher fundiertere Entscheidungen zur Emissionsreduzierung treffen. KI kann zum Beispiel Produktionsdaten analysieren, um festzustellen, welche Produktionsprozesse für die meisten Emissionen verantwortlich sind. Und im nächsten Schritt Unternehmen dazu anleiten, gezielte Änderungen vorzunehmen, um die Emission zu verringern.

Und hier hört es nicht auf. KI ist ebenfalls in der Lage, die Genauigkeit der Emissionsdaten zu verbessern – indem sie Lücken füllt und fehlende Informationen schätzt. Dies verringert die Unsicherheit und bietet eine verlässlichere Grundlage für Entscheidungen über Strategien zur Emissionsreduzierung. Richtig, hier geht es unter anderem um Compliance. Unternehmen können proaktive Schritte in Richtung Nachhaltigkeit unternehmen und sich an die gesetzlichen Anforderungen anpassen. 

Prädiktive Analyse zur Emissionsreduzierung

Nach der Kontrolle der Emissionen besteht der nächste Schritt darin, mit Hilfe der prädiktiven Analyse (engl. Predictive Analytics) zukünftige Emissionstrends vorherzusehen. Ebenfalls eine Spezialdisziplin der KI: große Datenmengen werden analysiert, und Emissionen auf der Grundlage aktueller Muster und betrieblicher Veränderungen können vorhergesagt werden. Diese Voraussagekraft ist entscheidend für die Festlegung und Anpassung von Emissionsreduktionszielen, um die geforderten oder gewünschten Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Die vorausschauende Analyse gibt Unternehmen ein wertvolles Instrument zur Steuerung ihrer Kohlenstoffemissionen an die Hand. Sie hilft dabei, Bereiche zu identifizieren, in denen die Emissionen wahrscheinlich steigen werden. Und ermöglicht es den Unternehmen, vorausschauend zu planen, um ihren CO2-Ausstoß zu verringern. Dies ist besonders nützlich für Organisationen mit komplexen Prozessen, bei denen Anpassungen von Produktionsplänen oder Logistikrouten erhebliche Auswirkungen auf die Emissionen haben können. Die Vorhersagefähigkeit der KI ermöglicht es Unternehmen, proaktive Maßnahmen zu ergreifen. Wenn KI einen Anstieg des Energieverbrauchs vorausschauend erkennt, kann sie Änderungen vorschlagen, um das zu verhindern (wir kommen auf dieses “präskriptive” Szenario weiter unten zurück).

Ein weiterer Vorteil der prädiktiven Analyse ist ihr Beitrag zu langfristigen Nachhaltigkeitsstrategien. Durch die Vorhersage von Emissionen können Unternehmen langfristige Pläne erstellen, um die Ziele der Kohlenstoffreduktion über einen längeren Zeitraum erfüllen – vor allem in Anbetracht der gesetzlichen Compliance. So erhalten sie einen klaren Fahrplan zur Erreichung der Nachhaltigkeit konform zu Umweltregulierungen.

Nicht zuletzt spielt die prädiktive Analyse auch eine Rolle bei der Optimierung der Ressourcenverteilung. Indem sie Energie effizienter nutzen und Abfälle reduzieren, tragen Firmen zu geringeren Emissionen und einem kleineren ökologischen Fußabdruck bei. Dies unterstreicht den Wert von KI-gestützten Prognosen, die Unternehmen zu wesentlich nachhaltigeren Praktiken führen.

Prädiktive KI trifft auf präskriptive KI

Präskriptive KI (Prescriptive AI) geht einen Schritt weiter als Prädiktive KI (Predictive AI). Sie macht mehr als nur Vorhersagen – sie gibt Unternehmen praktische Einblicke und Ideen, um Emissionen in Echtzeit zu reduzieren. Was bedeutet das?

Ein Beispiel: Während ein vorausschauendes System (Predictive AI) einem Unternehmen eine Vorstellung davon gibt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Kundschaft abwandert (Customer Churn), würde ein präskriptives System (Prescriptive AI) proaktiv Maßnahmen empfehlen, um das bestmöglich zu verhindern. Präskriptiv wird mit “vorschreibend” übersetzt – man kann es sich jedoch auch “vorbeugend” vorstellen.

Beispielsweise kann KI die besten Produktionspläne und Transportrouten empfehlen und so unnötigen Energieverbrauch und Emissionen reduzieren. Durch die Untersuchung von Daten aus verschiedenen betrieblichen Bereichen / Abteilungen identifiziert KI Ineffizienzen und schlägt Lösungen vor. Diese Präzision hilft Unternehmen, ihren ökologischen Fußabdruck weiter zu reduzieren, ohne die Produktivität oder die betrieblichen Ziele zu gefährden.

KI kann auch Produktionsprozesse rationalisieren und sicherstellen, dass Ressourcen effizient genutzt werden. Dies hilft Unternehmen sowohl in puncto ökologischer Fußabdruck als auch Rentabilität – ein doppelter Gewinn für die Nachhaltigkeit und das Betriebsergebnis. Durch die Umsetzung von KI-gestützten Empfehlungen wird weiterhin eine Kultur der kontinuierlichen Verbesserung gefördert. Und das ist nicht zu verachten, da ein verändertes Bewußtsein und eine entsprechende Mentalität jeder Innovation vorausgehen.

Energieeffiziente Technologie

Die Herstellung von Energie (Elektrizität, Wärme) ist der Hauptverursacher von CO2 in der Atmosphäre. Energieeffiziente Technologien sind daher zentral, wenn Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck weiter reduzieren möchten. KI hilft Unternehmen dabei, effizientere Praktiken zu finden und umzusetzen – dadurch können sie sicherstellen, dass die Technologie in ihren Rechenzentren und anderen Betriebsstätten möglichst energieeffizient ist. Dazu gehört der Einsatz von energieeffizienten Servern, Kühlsystemen und anderer Infrastruktur, um den Energieverbrauch zu reduzieren und den CO2-Ausstoß zu minimieren. Auch KI selbst ist nicht unbedingt ressourcenschonend und Teil des Problems. Die Frage, die sich Unternehmen stellen sollten, ist: “Braucht diese Anwendung KI?”. Denkensweise sind auch lokale KI-Modelle oder spezialisierte und daher schlankere KI-Systeme.

Und hier kommt erneut der Vorteil von KI zum Zuge, den Energieverbrauch in Echtzeit zu überwachen und zu steuern. Diese kontinuierliche Kontrolle erlaubt es Organisationen, sowohl ihr Energieverhalten zu ändern als auch nachhaltiger zu agieren. In Echtzeit. Auch hier sinkt durch die Verringerung des Energieverbrauchs nicht nur der ökologische Fußabdruck, sondern auch die Betriebskosten.

Auch erneuerbare Energiequellen können effizienter genutzt werden. KI-Algorithmen können den Energiebedarf vorhersagen und dadurch die Integration erneuerbarer Energien in den Energieverbrauch des Unternehmens erleichtern. Somit verringert sich die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Dieser Übergang zu sauberen Energien ist unerlässlich für langfristige Nachhaltigkeit und unterstützt globale Anstrengungen der Dekarbonisierung.

Zusammenarbeit in der Lieferkette

Thema Supply Chain – eindeutig unser Lieblingsthema. Welche Maßnahmen können Unternehmen zusätzlich ergreifen, die wir nicht schon in den vorherigen Artikeln besprochen haben? Antwort: Die Zusammenarbeit in der Lieferkette.

Denn auch die kann KI erleichtern. Das bedeutet eine Kollaboration zwischen Unternehmen, Lieferant:innen und auch der Endverbraucher:innen, um gemeinsame Emissionsreduktionsziele zu erreichen. Hier geht es insbesondere auf die ausgeweitete Erfassung der Scope-3-Emissionen. Durch den Austausch von Daten und die Zusammenarbeit können Unternehmen Verbesserungspotenziale erkennen und Strategien zur Emissionsreduzierung in der gesamten Lieferkette umsetzen.

KI ermöglicht es, Emissionen in ihrer gesamten Wertschöpfungskette zu überwachen und gibt Aufschluss darüber, welche Teile der Lieferkette am meisten zu den Kohlenstoffemissionen beitragen. Mit diesem Wissen können Unternehmen ihre Anstrengungen dort konzentrieren, wo sie am meisten bewirken. Und zwar indem sie mit Lieferant:innen zusammenarbeiten, die bereit sind, nachhaltigere Praktiken einzuführen.

Schneider Electric ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Lieferkette in ein umfassendes Programm zur Emissionsreduktion eingebunden werden kann. 2021 startete das Unternehmen Partnerschaften mit mehr als 1.000 seiner Lieferant:innen – um Emissionsreduktionen zu berechnen und Ziele festzulegen. Durch Workshops und Weiterbildungs-Webinare hat das Unternehmen fast 900 Lieferant:innen dazu gebracht, ihre Emissionen zu melden und aktiv zu senken, um so den Fortschritt über die eigenen Betriebe hinaus voranzutreiben.

Die Zusammenarbeit kann auch zu Innovationen in der Produktentwicklung führen. Das internationale Konsumgüterunternehmen Reckitt legt seinen Ansatz auf die Produktentwicklung zur Erreichung seiner Nachhaltigkeitsziele und zur Emissionsreduzierung (s. auch Abb. 2, Punkt 3).  Das sich ändernde Konsumverhalten der Kundschaft ist eine starke Zugkraft um innovative Produkte zu entwickeln, die zur Nachhaltigkeit beisteuern. KI ermöglicht die Entwicklung von umweltfreundlicheren Produkten, Verpackungen, Transportarten und weiteren Faktoren. So setzt Reckitt mit ihrer Geschirrspülmittel-Marke Finish ein Beispiel für Innovation: Die Finish Geschirrspültabs sind so entwickelt, dass nicht mehr vorgespült werden muss und die Kund:innen bei der täglichen Verwendung des Produkts Wasser sparen können. Insgesamt tragen diese kollektiven Anstrengungen zu einer erheblichen Verringerung der Kohlenstoffemissionen bei und unterstützen das übergeordnete Ziel der Nachhaltigkeit.

(Abb 2: BCG-Leitfaden für 9 wesentliche Initiativen, die jedes Unternehmen Schritt für Schritt ergreifen kann, BCG) 

Fazit

Es gibt viel zu tun in puncto Nachhaltigkeit für Unternehmen – doch es gibt genauso viele Möglichkeiten. Packen wir es an. Oder um es in den Worten von der Boston Consulting Group zu sagen: Aim high, start small and scale fast.

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